»Beim Schreiben
steht man immer in Konkurrenz zu sich selbst. Und um Tagebuch schreiben zu können,
muss man die Gegenwart erleben, als ob man sich an etwas Vergangenes erinnert.«
Ich
habe wunderbar geschlafen, aber zu meiner üblichen Zeit – gegen halb sechs –
wache ich auf. Noch ein wenig vor mich hindösen und dann kommt Clyde und möchte
gerne raus. Also raus aus den Federn, duschen und dann eine Runde Gassi gehen.
Mir fehlt meine Tasse Kaffee nach dem Aufstehen, das Einzige dass ich in Hotels
vermisse. Ansonsten mag ich Hotels. Ich brauche das Bett nicht machen und das
Bad nicht putzen, ich kann mich an den gedeckten Frühstückstisch setzen und
werde bedient. Herrlich urlaubig.
Wobei hier bei Paulsen gibt es, wie in den
meisten Hotels heutzutage, ein Büffet und man darf sich selbst raussuchen wonach
der Magen verlangt. Das stellt mich immer vor das Problem, was ich nehme. Alles
sieht gut aus, aber alles kann ich nicht essen. Ich entscheide mich für Rührei,
dass ich sonst eher selten bekomme und frische Brötchen mit Marmelade. Außerdem
natürlich viel Kaffee!
Dann
die Koffer packen und zahlen und schon sind wir unterwegs.
Kürzlich
haben wir in unserem Buchcafé (ein Literaturkreis der ein Mal im Monat stattfindet) über ein neues Buch von K. Mosick gesprochen
(Konzert ohne Dichter), das in Worpswede spielt. Meine Mutter und ich hatten
daraufhin überlegt, dass wir dort doch vorbei fahren könnten, nach Hamburg ist
es nur ein kleiner Umweg.
Über die Dörfer durch herrlich norddeutsche
Landschaft brauchen wir etwa eine halbe Stunde. Worpswede ist inzwischen ein Künsterort
geworden (hauptsächlich Maler und Bildhauer) und es gibt viele Galerien, Museen
und Hotels. Nun es wirkt alles ein bisschen künstlich – nicht künstlerisch,
trotzdem parken wir und Klaus, Mami und ich laufen herum. Ich fotografiere noch
das Herman-Vogeler-Haus. Von eben diesem Schriftsteller handelt das erwähnte
Buch. in einem Ort fahren wir an dieser interessanten 'Bücherzelle' vorbei |
Als
wir weiterfahren, schaue ich mir den Streckenverlauf nach Hamburg auf meinem
Smartphone an und stelle fest, der Weg führt uns direkt durch Nartum. Nartum?
Da war doch was. Natürlich weiß ich das sofort, Walter Kempowski hat dort
gelebt. Für mich nicht nur deswegen eine interessante Persönlichkeit, weil ich
viele seiner Bücher gelesen habe und mag, sondern auch, weil er in der ersten
Klasse (in der ich Zeven zur Schule ging) mein Klassenlehrer war. Das kann ich
mir natürlich nicht entgehen lassen und als wir nach Nartum kommen sehen wir
schon bald das Schild zur ‚Walter Kempowski Stiftung, Haus Kreienhoop‘.
Vor dem
Haus ist ein Aushang, der sagt, man kann jederzeit ‚auf gut Glück klingeln und
das Haus besichtigen‘. Mami und ich beschließen dies zu tun, während die Männer
im Auto bleiben. Wir klingeln vorsichtig an der Tür und eine sehr nette ältere
Dame öffnet. Ich stelle mich vor und erzähle auch gleich, dass ich mich sehr
freue hier zu sein, da ich eben Hr. Kempowski als Klassenlehrer hatte – vor vielen
vielen Jahren. Es stellt sich heraus, die nette Dame ist Hildegard Kempowski. Mir
fällt ein Satz des Schriftstellers ein: »Das
Eheschiff neigt sich jeden Tag einmal nach rechts und einmal nach links. Man
muss immer wieder ganz von vorn anfangen. Wer dazu nicht bereit ist, darf nicht
heiraten. Ehefähig sein: dazu gehört auch, dass man nicht egoistisch ist. Schon
das In-die-Ecke-Werfen einer schmutzigen Socke ist gegen den Partner gerichtet.«
Mami
und ich kommen schnell ins Gespräch mit Frau Kempowski (meine Mutter und sie sind
der gleiche Jahrgang), erst natürlich über ihren Mann, dann über das Pilgern
und den Jakobsweg. Ich erzähle von meinem Buch und habe ihr später auch ein
Exemplar gegeben. Es ist so als würden wir uns schon lange kennen. Mami und ich
kommen in den Genuss einer ganz persönlichen Führung durch die Räume mit ein
paar spezieller Anekdoten über Walter Kempowski.
Ich freue mich wie ein kleines
Kind über ein neues Spielzeug und bin fast traurig als wir gehen. Ein
herzlicher Abschied und wir stehen wieder auf der Allee, die der Schriftsteller
in seinem Buch „Sirius“ beschreibt: »Wunderschöne
Maitage. Die pubertierende Allee blüht. Leider sind sie beim Ausmessen nicht sorgfältig
genug gewesen, vom Turm aus sieht sie krumm aus. – Na, heutzutage genügt es
schon, den Leuten zu zeigen, was man vorhatte.«
Dies
war mein ganz persönliches Highlight des Tages und ich bin immer noch ganz
beseelt, als wir weiterfahren.
Nächster
Halt ist Hamburg. Vorbei am Hamburger Hafen mit seinen Containerverladekränen
und –schiffen. Immer wieder fasziniert mich dieser. Ich habe kürzlich gelesen, hier
werden pro Tag 1 Million Container umgesetzt und aller meistens lande diese
auch dort wo sie hin sollen. Faszinierend.
Wir
kommen reibungslos durch den Elbtunnel. Toll, wir hatten befürchtet, dass auf
Grund des Hafengeburtstages viel los sein würde. Aber nein. Gezielt findet mein
Dad auch den Friedhof in Barnstedt wo meine Großeltern mütterlicherseits ihre
letzte Ruhestätte gefunden haben. Bisschen Unkraut rupfen, die mitgebrachten
Blumentöpfe aufstellen und einen Moment verweilen. Dieser alte Friedhof mit
seinen großen Bäumen und verwinkelten Wegen strahlt immer etwas besonders Ruhiges,
Friedliches in dem hektischen Hamburg aus.
Bis
das Hotel öffnet haben wir noch Zeit und so machen wir noch einen Abstecher nach
Dagebüll um endlich das Meer zu sehen. Am Deich entlang auf dem die Schafe mit
ihren Lämmern stehen und dann liegt es vor uns, die Nordsee! Herrlich. Da wir
uns auskennen fahren wir gleich bis ganz vorne an den Fährhafen wo es ein paar
Parkplätze gibt. Mami, Klaus, Clyde und ich machen einen schönen Spaziergang
und lassen uns den Wind um die Nase wehen. Mal so richtig durchblasen lassen.
Die Sonne lacht vom Himmel und lässt das Meer glitzern.
Als
es Zeit wird, fahren wir in Richtung Stedesand zum Hotel Deichgraf. Die Chefin,
Frau Wiebke Asmussen, erkennt meinen Dad natürlich gleich wieder. Nun letztes
Jahr waren wir in der gleichen Kombination hier.
Zum
Abendessen im hauseigenen Restaurant (der Chef Jens Asmussen kocht selbst) gibt
es für mich heute Maischolle. Auf die habe ich mich schon seit Tagen gefreut und
ich werde nicht enttäuscht. Einfach lecker.
Zur
Verdauung noch ein kleiner Spaziergang durch den idyllischen Ort und dann ruft
das Bett ganz laut nach mir.
Was
für ein schöner Tag und den Besuch bei Hildegard Kempowski werde ich ganz
sicher so schnell nicht vergessen.
»Merkwürdiger
Schwebezustand. - Sich mal ein paar Monate oder wenigstens Wochen still zu Haus
aufhalten, ohne Zeitung, ohne TV. Nur aus dem Fenster gucken: Das ist meine
Vorstellung von Glück.« (wie alle Zitate im heutigen Post, aus ‚Sirius –
Eine Art Tagebuch‘ von Walter Kempowski)
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