Sonntag, 10. Mai 2015

Eine Art Tagebuch …



»Beim Schreiben steht man immer in Konkurrenz zu sich selbst. Und um Tagebuch schreiben zu können, muss man die Gegenwart erleben, als ob man sich an etwas Vergangenes erinnert.«

Ich habe wunderbar geschlafen, aber zu meiner üblichen Zeit – gegen halb sechs – wache ich auf. Noch ein wenig vor mich hindösen und dann kommt Clyde und möchte gerne raus. Also raus aus den Federn, duschen und dann eine Runde Gassi gehen. Mir fehlt meine Tasse Kaffee nach dem Aufstehen, das Einzige dass ich in Hotels vermisse. Ansonsten mag ich Hotels. Ich brauche das Bett nicht machen und das Bad nicht putzen, ich kann mich an den gedeckten Frühstückstisch setzen und werde bedient. Herrlich urlaubig. 
Wobei hier bei Paulsen gibt es, wie in den meisten Hotels heutzutage, ein Büffet und man darf sich selbst raussuchen wonach der Magen verlangt. Das stellt mich immer vor das Problem, was ich nehme. Alles sieht gut aus, aber alles kann ich nicht essen. Ich entscheide mich für Rührei, dass ich sonst eher selten bekomme und frische Brötchen mit Marmelade. Außerdem natürlich viel Kaffee!
Dann die Koffer packen und zahlen und schon sind wir unterwegs.

 Kürzlich haben wir in unserem Buchcafé (ein Literaturkreis der ein Mal im Monat stattfindet) über ein neues Buch von K. Mosick gesprochen (Konzert ohne Dichter), das in Worpswede spielt. Meine Mutter und ich hatten daraufhin überlegt, dass wir dort doch vorbei fahren könnten, nach Hamburg ist es nur ein kleiner Umweg. 
Über die Dörfer durch herrlich norddeutsche Landschaft brauchen wir etwa eine halbe Stunde. Worpswede ist inzwischen ein Künsterort geworden (hauptsächlich Maler und Bildhauer) und es gibt viele Galerien, Museen und Hotels. Nun es wirkt alles ein bisschen künstlich – nicht künstlerisch, trotzdem parken wir und Klaus, Mami und ich laufen herum. Ich fotografiere noch das Herman-Vogeler-Haus. Von eben diesem Schriftsteller handelt das erwähnte Buch.

in einem Ort fahren wir an dieser interessanten 'Bücherzelle' vorbei

Als wir weiterfahren, schaue ich mir den Streckenverlauf nach Hamburg auf meinem Smartphone an und stelle fest, der Weg führt uns direkt durch Nartum. Nartum? Da war doch was. Natürlich weiß ich das sofort, Walter Kempowski hat dort gelebt. Für mich nicht nur deswegen eine interessante Persönlichkeit, weil ich viele seiner Bücher gelesen habe und mag, sondern auch, weil er in der ersten Klasse (in der ich Zeven zur Schule ging) mein Klassenlehrer war. Das kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen und als wir nach Nartum kommen sehen wir schon bald das Schild zur ‚Walter Kempowski Stiftung, Haus Kreienhoop‘. 
Vor dem Haus ist ein Aushang, der sagt, man kann jederzeit ‚auf gut Glück klingeln und das Haus besichtigen‘. Mami und ich beschließen dies zu tun, während die Männer im Auto bleiben. Wir klingeln vorsichtig an der Tür und eine sehr nette ältere Dame öffnet. Ich stelle mich vor und erzähle auch gleich, dass ich mich sehr freue hier zu sein, da ich eben Hr. Kempowski als Klassenlehrer hatte – vor vielen vielen Jahren. Es stellt sich heraus, die nette Dame ist Hildegard Kempowski. Mir fällt ein Satz des Schriftstellers ein: »Das Eheschiff neigt sich jeden Tag einmal nach rechts und einmal nach links. Man muss immer wieder ganz von vorn anfangen. Wer dazu nicht bereit ist, darf nicht heiraten. Ehefähig sein: dazu gehört auch, dass man nicht egoistisch ist. Schon das In-die-Ecke-Werfen einer schmutzigen Socke ist gegen den Partner gerichtet.«
Mami und ich kommen schnell ins Gespräch mit Frau Kempowski (meine Mutter und sie sind der gleiche Jahrgang), erst natürlich über ihren Mann, dann über das Pilgern und den Jakobsweg. Ich erzähle von meinem Buch und habe ihr später auch ein Exemplar gegeben. Es ist so als würden wir uns schon lange kennen. Mami und ich kommen in den Genuss einer ganz persönlichen Führung durch die Räume mit ein paar spezieller Anekdoten über Walter Kempowski. 

Ich freue mich wie ein kleines Kind über ein neues Spielzeug und bin fast traurig als wir gehen. Ein herzlicher Abschied und wir stehen wieder auf der Allee, die der Schriftsteller in seinem Buch „Sirius“ beschreibt: »Wunderschöne Maitage. Die pubertierende Allee blüht. Leider sind sie beim Ausmessen nicht sorgfältig genug gewesen, vom Turm aus sieht sie krumm aus. – Na, heutzutage genügt es schon, den Leuten zu zeigen, was man vorhatte.«
Dies war mein ganz persönliches Highlight des Tages und ich bin immer noch ganz beseelt, als wir weiterfahren.

Nächster Halt ist Hamburg. Vorbei am Hamburger Hafen mit seinen Containerverladekränen und –schiffen. Immer wieder fasziniert mich dieser. Ich habe kürzlich gelesen, hier werden pro Tag 1 Million Container umgesetzt und aller meistens lande diese auch dort wo sie hin sollen. Faszinierend.
Wir kommen reibungslos durch den Elbtunnel. Toll, wir hatten befürchtet, dass auf Grund des Hafengeburtstages viel los sein würde. Aber nein. Gezielt findet mein Dad auch den Friedhof in Barnstedt wo meine Großeltern mütterlicherseits ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Bisschen Unkraut rupfen, die mitgebrachten Blumentöpfe aufstellen und einen Moment verweilen. Dieser alte Friedhof mit seinen großen Bäumen und verwinkelten Wegen strahlt immer etwas besonders Ruhiges, Friedliches in dem hektischen Hamburg aus.

Inzwischen sind die Wolken weniger geworden und die Sonne scheint. Wir fahren weiter nach Norden. Raus aus der Stadt in Richtung Niebüll. Das Land ist flach. Okay, ich wiederrufe meine Aussage über die Windräder von gestern, denn hier gibt es sie in Massen und teilweise stören sie das Bild ein wenig. Aber es gibt auch immer wieder Abschnitte, wo es keine gibt, nur Wiesen und Kühe und ein paar einzelne Höfe. Einfach schön.

Bis das Hotel öffnet haben wir noch Zeit und so machen wir noch einen Abstecher nach Dagebüll um endlich das Meer zu sehen. Am Deich entlang auf dem die Schafe mit ihren Lämmern stehen und dann liegt es vor uns, die Nordsee! Herrlich. Da wir uns auskennen fahren wir gleich bis ganz vorne an den Fährhafen wo es ein paar Parkplätze gibt. Mami, Klaus, Clyde und ich machen einen schönen Spaziergang und lassen uns den Wind um die Nase wehen. Mal so richtig durchblasen lassen. Die Sonne lacht vom Himmel und lässt das Meer glitzern.

Als es Zeit wird, fahren wir in Richtung Stedesand zum Hotel Deichgraf. Die Chefin, Frau Wiebke Asmussen, erkennt meinen Dad natürlich gleich wieder. Nun letztes Jahr waren wir in der gleichen Kombination hier.
Zum Abendessen im hauseigenen Restaurant (der Chef Jens Asmussen kocht selbst) gibt es für mich heute Maischolle. Auf die habe ich mich schon seit Tagen gefreut und ich werde nicht enttäuscht. Einfach lecker.

Zur Verdauung noch ein kleiner Spaziergang durch den idyllischen Ort und dann ruft das Bett ganz laut nach mir.

Was für ein schöner Tag und den Besuch bei Hildegard Kempowski werde ich ganz sicher so schnell nicht vergessen.

»Merkwürdiger Schwebezustand. - Sich mal ein paar Monate oder wenigstens Wochen still zu Haus aufhalten, ohne Zeitung, ohne TV. Nur aus dem Fenster gucken: Das ist meine Vorstellung von Glück.« (wie alle Zitate im heutigen Post, aus ‚Sirius – Eine Art Tagebuch‘ von Walter Kempowski)

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